Seleuce
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Re: Die Stadt des Amun
Antworten #2428 - 02/08/07 um 13:45:57
Der Sonnenaufgang an jenem Morgen war von seltener Schönheit. Sonst zumeist von faden Schleiern überzogen und der Landschaft ein blasses, kontrastloses Antlitz verleihend, wenn Ra sich nach seiner Geburt aus seiner Schale befreite, erschien der Himmel heute in dunklem doch leuchtendem Rot, als wäre es der letzte aller Morgen, sich dazu in seine prächtigsten Farben kleidend... Wie schön, wie friedfertig waren jene Stunden des Tages, wenn die Natur allmählich erwachte und doch noch nicht ein jedes Lebewesen angestrengt den Geschäften seines Tages nachging. Ein paar sanfte Winde wehten vom Nordwesten her, dösende Gazellen und Antilopen, die man im Delta kaum zu Gesicht bekam, lugten hier aus den dicht bewachsenen Schilflandschaften rings umher hervor, ein Nilpferd ruhte in friedlicher Eintracht mit zwei Kuhreiern auf seinem Rücken noch nahe des Ufers neben einer einsamen Palme. Als die Schreie zweier Falken, die über Isisnofrets leise dahingleitendem Boot ihre Kreise zogen, die verschlafene Stille durchdrangen, sah sie nach oben und blinzelte, um besser sehen zu können. Sie stand an die süd-östliche Reling gelehnt, dem jungen Tag zugewandt und hatte den Allhern mit erhobenen Armen bei seinem Erscheinen begrüßt. Nun rissen die beiden Vögel mit ihren scharfen, sehnsuchtsvollen und so eigenartig erbaulichen Stimmen sie aus ihrer Meditation. "Sei mir gegrüßt, göttlicher Vater und auch du, strahlender Horus," murmelte sie leise und beobachtete, wie die Falken im Sonnenball, der eben aus dem Horizont tauchte, verschwanden... Auch die Antilopen erwachten nun zum Leben, sammelten sich mit noch steifen Gliedern zu kleinen Herden zusammen, hoben hier und da wachsam die Köpfe, um nach Feinden Ausschau zu halten und setzten sich schließlich geschlossen flußabwärts in Bewegung. Isisnofret folgte den Tieren parallel auf dem Boot, schlenderte langsam an der Reling entlang, bis sie am Ende angelangt war und ihren Blick in die Ferne richtete, die sie bereits hinter sich gelassen hatte. Kein Augenaufschlag trübte ihren Blick, ihre Züge waren nachdenklich, versonnen und vielleicht könnte manch empfindsamer Betrachter in ihren Pupillen sogar sehen, wie sich dort gläsern der Norden spiegelte, nach dem sie sich sehnte und doch südwärts eilte... Sie hatte einen Fehler gemacht...
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