Seleuce
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Re: Die Stadt des Amun
Antworten #1549 - 01/06/07 um 22:24:58
Isisnofret küßte ihren Mann auf die Stirn und stütze sich auf ihren Ellenbogen, sah auf ihn herab und verzog bestürzt das Gesicht, als ihr sein Zustand wieder so deutlich wurde, es tat ihr weh, ihn so aufgelöst und ohne Schwung zu sehen, machte sie traurig und bedrückt. Mehr noch war es verstörend, daß jener Mann, dessen mächtige Persönlichkeit und scharfer Verstand so charakteristisch für ihn waren, nun fast ein ganz anderer, fast zerbrechlicher und zerstreuter Mensch geworden war... "Ich werde Hathor besuchen! Sie und Isis, sie erhören mein Flehen vielleicht, sie sind doch jene, die die Beweggründe noch am besten verstehen müßten, ich werde Hathor direkt um Beistand bitten," erklärte sie entschlossen. Sie konnte nicht mehr herumliegen und darauf warten, daß die anderen Rettung brachten, sie wollte selbst dazu beitragen! Von Tatendrang getrieben liebkoste sie ihren Gatten ein letztes Mal liebevoll und erhob sich schließlich. Vertrauensvoll übergab sie ihn in die Obhut seines Leibdieners und Ta-ini unter die Aufsicht Barets. Dann teilte sie Panewi ihre Absichten mit, sie war rein, so hoffte sie zumindest, wenn ihre Leibeskrämpfe nichts anderes andeuteten... so war sie doch wenigstens in jeder anderen Hinsicht wab genug für den Besuch eines Tempels! Wenig später verließ die zweite GKG in ihrem Priesterinnengewand aus blütenreinem, weißen Leinen in einer Sänfte getragen und von ihren Leibwachen umsäumt die Villa in Ascheru und begab sich auf den Weg zum Fluß, um dort zum Westufer überzusetzen und die Seite des Jenseits zu betreten... Die Barke brachte die zweite Königin in eiliger Fahrt, die in ihrer Geschwindigkeit gerade noch akzeptabel für das Passieren an den Totentempeln der Ahnen war, zum Bau des Millionenjahrehauses ihres Königsgemahls, wo man an Land ging und ihr half, aus dem schwankenden Gefährt der heiligen Gewässer zu steigen. Als sie den halbfertigen Bau erblickte, flutete es ihr die Augen... jener Ort sollte einst, wenn Ramses in den Westen gegangen war... sie mußte sich abwenden, was war, wenn dieser Zeitpunkt doch schon in all zu kurzer Zukunft heran wäre? Der Bau nicht abgeschlossen, nicht geweiht, seine Grabstätte nicht vollendet... sie durfte an all das nicht denken, sie war im Begriff, um das Gegenteil zu flehen, sentimentale Momente konnte sie noch später haben! Abrupt befahl sie ihren Sänftenträgern hier auf sie zu warten und sprach ein kleines Gebet, daß ihre Arglosigkeit und ihre Frömmigkeit unterstützen sollte, während sie entschied, allein, nur von zwei Gardisten begleitet und zu Fuß zum Tempel der Hathor zu gehen, wiederum ein Symbol ihrer Bereitschaft zur Selbstaufgabe, denn der Weg war anstrengend. Von ihrem überraschenden Besuch erstaunt empfingen sie die Priesterinnen und Priester freudig und warmherzig und baten sie zu Tisch, da sie eben, da die Mittagsstunde angebrochen war, im Begriff waren, gemeinsam zu speisen. Isisnofret lehnte aber dankend ab, sie hatte keinen Appetit, auch wenn ihr Magen wieder leer war und knurrte. Sie zog es vor, lieber allein, ungestört und privat der Göttin zu huldigen, sich ihr anzuvertrauen und ihren Beistand zu erbitten... Lange Zeit verharrte sie vor einer Statue Hathors zu den Füßen der kuhhörnigen Göttin und rezitierte Anrufungen, versicherte die Goldene ihrer absoluten Loyalität und dankte ihr wieder und wieder für die schon erwiesene Gunst, die ihr schon so reich zuteil geworden war. Dann erst begann sie, ohne für sich zu bitten, um Gnade und Verständnis, erneut rief sie Hathor an, die selbstlosen Beweggründe des Königs anzuerkennen und bat um Vergebung, daß die Liebe, die Hathor geschenkt hatte, zu eben solchen Taten verleitet hatte... Zum symbolischen Zeichen ihrer Aufgabe, um was immer es sich auch handeln würde, nahm sie einen verzierten, zierlichen Dolch, dessen Griff ein Gazellenbein darstellte, zu Hand, den sie sich vor dem Übersetzen von Panewi hatte geben lassen und schnitt sich, während ihr stumme Tränen über die Wangen rannen, eine halbe Elle ihres geflochtenen Zopfes ab, den sie vor der Statue niederlegte... Dann schwieg sie in stummer Anbetung und mit schwerem Herzen...
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